Am 17. März schlägt das Freiburger Startup ConstellR ein weiteres Kapitel seiner noch jungen Erfolgsgeschichte auf. Dann tritt es nämlich beim prestigeträchtigen SXSW Pitch in der Kategorie „Innovative World“ an. Die Siegchancen stehen nicht schlecht, denn ConstellR beschäftigt sich mit gleich zwei hochaktuellen Themen – dem Klimawandel und der Zukunft der Landwirtschaft – und setzt dabei spektakuläre Satellitentechnik ein.
Die Weltbevölkerung wächst nach wie vor und könnte um das Jahr 2050 die Marke von 10 Milliarden erreichen. Die Erschließung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen kann da kaum mithalten. Im Gegenteil, diese sind mancherorts sogar rückläufig, nicht zuletzt wegen der Auswirkungen des Klimawandels. Um so wichtiger ist es, die verfügbaren Flächen optimal zu bewirtschaften. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Gesundheit der Nutzpflanzen und ihre genau abgestimmte Versorgung mit Wasser. Ein wichtiger Indikator dafür ist die Temperatur der Erdoberfläche, also müsste man diese präzise erfassen, permanent und weltweit.
Heatmaps geben Auskunft darüber, wie optimal bewässert werden sollte
Was wie ein tollkühner, ja fast unmöglich umzusetzender Plan klingt, ist genau das, was ConstellR vorhat. Dafür hat des Team Mikrosatelliten entwickelt, die mit Freiform-Teleskopen bestückt sind, um die thermische Infrarotstrahlung der Erdoberfläche zu erfassen und daraus Heatmaps zu erstellen. Diese Heatmaps und die damit verbundenen Daten helfen nicht nur dabei, die aktuelle Situation zu beurteilen und die Wasserversorgung der Pflanzen zu regulieren. Sie ermöglichen sogar Prognosen bezüglich erwartbarer Ernteerträge oder drohender Dürren und schaffen dadurch Zeit, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Das Projekt von ConstellR klingt nach der Vision eines Silicon Valley-Entrepreneurs vom Schlage eines Elon Musk. Wie konnte es da im beschaulichen Freiburg entstehen? Eine gesunde Portion Optimismus und Naivität habe dabei eine Rolle gespielt, erklärt Dr. Max Gulde, zusammen mit Christian Mittermaier und Marius Bierdel einer der Gründer. Der Physiker beschäftigte sich ursprünglich mit der Entwicklung von Mikroskopen. Seine dabei erzielten Ergebnisse sorgten in der Fachwelt durchaus für Aufsehen, der Nutzen für die Allgemeinheit erschien ihm aber zu gering.
Einfach mal machen – bei ConstellR ein Erfolgsrezept
Also bewarb er sich 2015 ohne besondere Vorkenntnisse für ein Raumfahrtprogramm beim Fraunhofer Ernst-Mach-Institut in Freiburg und wurde prompt angenommen. Dort wurde er Teil eines Teams, das sich mit der Sicherheitsanwendung von Satelliten auseinandersetzte. Die dafür verwendete Technologie ließ sich aber auch für zahlreiche andere Zwecke einsetzen. Also meldete man sich spaßeshalber bei einem Startup-Wettbewerb der Weltraumbehörde ESA an. Wieder wurde Unbekümmertheit belohnt und das Team schaffte es bis ins Finale. Aus diesem unerwarteten Erfolg erwuchs die Idee, tatsächlich ein Startup zu gründen.
Es folgten die Unterstützung durch den auf Erdbeobachtung spezialisierten Copernicus Accelerator und Fraunhofer Venture, die die Weiterentwicklung von ConstellR ermöglichten. Den Durchbruch brachte dann die Förderung durch das vom Bundeswirtschaftsministerium initiierte Programm EXIST-Forschungstransfer in Höhe von insgesamt fast zwei Millionen Euro. Das ermöglichte 2020 endlich die offizielle Gründung von ConstellR und den Ausbau des Teams von vier auf 19 Personen. Ein weiterer Meilenstein war im Februar 2021 die Partnerschaft mit dem Raumfahrtunternehmen OHB als Investor in einem vom Fraunhofer Technologie-Transfer-Fonds angeführten Runde. Corona-Hilfe gab es zu zudem von der Initiative Pro-Tect des Landes Baden-Württemberg.
2022 soll es erstmals ins All gehen
ConstellR ist mit seiner „Just do it“-Mentalität schon ein ganzes Stück vorangekommen, doch der größte Schritt steht noch bevor, nämlich der ins All. Im Februar 2022 soll es endlich so weit sein. Dann fliegt eine Messeinheit zur Raumstation ISS und soll dort installiert werden, um die ersten Heatmaps zu erstellen. Das spart zunächst den Bau von Satelliten, denn die sind teuer, sehr teuer. Reguläre Modelle fangen bei über 100 Millionen Euro an, je nach Ausrüstung können die Kosten in die Milliarden gehen.
Im Vergleich dazu sind die Satelliten von ConstellR ein Schnäppchen, höchsten 2,5 Millionen Euro schlagen hier zu Buche. Das liegt zum einen an ihrer geringen Größe (sie entspricht 16 Ein-Liter-Milchkartons) und zum anderen, dass sie die die Technologie von anderen Satelliten „anzapfen“ können und daher nur mit dem Allernötigsten ausgestattet sind. Trotzdem übersteigen die Kosten natürlich erheblich die bisherigen Fördergelder, weshalb die Suche nach Investoren jetzt die dringlichste Aufgabe ist. Max ist aber optimistisch, ab 2023 startklar zu sein.
Ein potenzieller Partner wäre natürlich die Welternährungsorganisation FAO, die allerdings von dem Projekt erst messbare Resultate erwartet, bevor sie einzusteigen bereit wäre. Hier liegt die nächste Herausforderung für ConstellR. Die Fülle an Daten und Heatmaps, die im Idealfall zur Verfügung stehen, sind für die, die eigentlich davon profitieren sollen, zunächst unverständlich und damit unbrauchbar. Das gilt für den landwirtschaftlichen Großbetrieb in Brandenburg und erst recht für Kleinbauern in Afrika oder Lateinamerika.
Mit den richtigen Partnern kann ConstellR Milliarden bewegen
ConstellR braucht also jeweils vor Ort Unternehmen, die die Informationen in konkrete Handlungsempfehlungen übersetzen. Gerade in den Entwicklungsländern können das Startups sein, die buchstäblich die Sprache der Einheimischen sprechen und über einfache Smartphone-Anwendungen kommunizieren. Wenn das alles klappt und die finanzielle Ausstattung es zulässt, glaubt Max schon im Jahr 2030 weltweit etwa 30 % der aktiv bewässerten Nutzfläche erfassen zu können. Daraus könnte eine Wasserersparnis von 18 % resultieren und ein volkswirtschaftlicher Gewinn von 130 Milliarden Euro.
Das ist allerdings noch Zukunftsmusik, aktuell steht der der eingangs erwähnte Pitch bei SXSW auf dem Programm. Der findet in diesem Jahr Corona-bedingt natürlich nicht in Austin, Texas statt, sondern virtuell. In typischer ConstellR-Manier hatte sich das Team einfach mal für SXSW beworben, ohne zu wissen, was für ein weltweites Spektakel das Festival eigentlich ist. Entsprechend entspannt blickt es dem kommenden Mittwoch entgegen, zumal der Pitch bereits aufgezeichnet wurde. Überhaupt das Finale erreicht zu haben ist schon ein riesiger Erfolg, ebenso die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf ein drängendes Problem und seine mögliche Lösung zu lenken. Ansonsten kommt es, wie es kommt, und bei ConstellR ist es bisher immer gut ausgegangen.
Beitragsbild: Ein Teil des ConstellR-Teams mit Familienanhang. Alle Bilder: ConstellR
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